Vergaberecht und erneuerbare Energien

Die seit 1998 amtierenden Bundesregierungen und die Bundes- und Landesgesetzgeber haben den
Umbau der deutschen Energieversorgung priorisiert und die Energiewirtschaft, Verbraucher und
Kommunen damit vor bedeutende Herausforderungen gestellt. Investitionen in erneuerbare
Energien, vor allem der Ausbau von Windkraft- und Photovoltaikanlagen stehen im Zentrum dieser
Entwicklung, die auch auf einen verlässlichen Rechtsrahmen angewiesen ist.

Das Energierecht umfasst daher heute äußert komplexe nationale und europarechtliche Regelwerke,
zu denen neben dem klassischen Genehmigungsrecht auch das in diesem Zusammenhang nicht auf
den ersten Blick relevant erscheinende Vergaberecht zählt. Die Meidert & Kollegen Rechtsanwälte
Partnerschaft mbB konzentriert sich daher bei der Betreuung von Großprojekten im Bereich der
erneuerbaren Energien nicht nur auf die klassischen Felder der genehmigungsrechtlichen Aspekte,
sondern berät im Sinne eines vorausschauenden Rundumblicks folglich auch über vergaberechtliche
Besonderheiten, denn häufig nehmen viele Kommunen bei der Realisierung einschlägiger Projekte
nicht nur die gesetzlich zugewiesene Aufgabe der Bauleitplanung wahr, sondern treten auch als
Grundstückseigentümer auf, um geeignete Flächen für Wind- oder Solarparks zur Verfügung zu
stellen. Es kann dann auch um die Gestaltung von Pacht- oder Gestattungsverträgen gehen, für die
bislang folgendes galt:

Solange der jeweilige Pacht- oder Gestattungsvertrag keine direkte Einflussnahme der Kommune auf
die konkrete Umsetzung des Projekts vorsah, blieben vergaberechtliche Aspekte unberührt. Nach der
früher einschlägigen oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung hätten entsprechende Pacht- oder
Gestattungsverträge konkrete inhaltliche Vorgaben für den Investor, z.B. in Gestalt eines für die
Kommune einklagbaren Realisierungsanspruchs enthalten müssen, um eine Ausschreibungspflicht
für die entsprechenden Flächen zu begründen (vgl. u.a. OLG Celle, Beschluss vom 16.10.2018 – 13
Verg 3/18; OLG Bremen, Beschluss vom 13.03.2008 – Verg 41/07). Solche konkreten vertraglichen
Vorgaben, die auch als „Bestellbau“ bezeichnet werden, hätten dann als Baukonzession im Sinne des
§ 105 Abs. 1 Nr. 1 GWB angesehen werden können.

Die europäische Ebene, die für alle Vergaben der öffentlichen Hand ab dem Erreichen eines
bestimmten Mindestwerts (sogenannter Auftrags- oder Schwellenwert) als höchste
Entscheidungsinstanz verantwortlich ist, spricht allerdings eine andere Sprache:
Der Europäischen Gerichtshof (EuGH) ist der Auffassung, dass für kommunale Pacht- oder
Gestattungsverträge Vergaberecht in Form des Vorliegens einer Dienstleistungskonzession (§ 105
Abs. 1 Nr. 2 GWB) zur Anwendung kommen kann (vgl.: EuGH NZBau 2023, 112). Der zuvor genannten
Entscheidung des EuGH (Urteil vom 10.11.2022 – C-486/21) lag ein Vorlageschluss eines
slowenischen Gerichts zugrunde. Der betreffende öffentliche Auftraggeber in Slowenien
beabsichtigte einen Vertrag mit einem Investor abzuschließen, um öffentliche Flächen für die
Realisierung von car-sharing-Angeboten zur Verfügung zu stellen. Diese Fallkonstellation ist
vergleichbar mit allen anderen Fällen, in denen ein öffentlicher Auftraggeber (wie z.B. ein Landkreis,
eine Stadt oder eine Gemeinde) Flächen im Wege von Pacht-, Kauf- oder Gestattungsverträgen zur
Realisierung bestimmter Projekte zur Verfügung stellt. Nach der bisherigen vergaberechtlichen
deutschen Rechtsprechung waren solche Verträge dem Anwendungsbereich des Vergaberechts
grundsätzlich entzogen, solange nicht der zuvor thematisierte Fall eines sogenannten „Bestellbaus“
vorlag, solange also die betreffende Kommune nicht konkrete, notfalls auch gerichtlich
durchsetzbare Vorgaben zur Realisierung des Projekts macht. Die Annahme einer
Dienstleistungskonzession setzte nach der bisherigen deutschen Rechtsprechung (vgl. u.a. OLG
Düsseldorf, Beschluss vom 23.01.2019 – VII-Verg 22/18; OLG Celle, Beschluss vom 16.10.2018 – 13

Verg 3/18) auch voraus, dass mit dem entsprechenden Projekt (Windpark, Solarpark, Flächen für car-
sharing oder E-Ladestationen etc.) ein direkter, dem öffentlichen Auftraggeber zu Gute kommender
Beschaffungsvorgang verbunden sein muss. Dies bedeutet, dass z.B. ein auf verpachteten
kommunalen Flächen erzeugter Solarstrom direkt für eine kommunale Einrichtung zur Verfügung
gestellt hätte werden müssen oder dass der Fuhrpark (car-sharing) nur für gemeindliche Zwecke (z.B.
Bauhof etc.) genutzt worden wäre. Nahezu alle auch in der Beratungspraxis unserer Kanzlei
auftretenden Fallkonstellationen sehen aber vor, dass die Leistungen der jeweiligen Investoren der
Allgemeinheit zu Gute kommen sollen: So wird der Strom entsprechender Wind- oder Solarparks in
das öffentliche Netz eingespeist oder die entsprechenden Leihwagen (car-sharing) natürlich der
Allgemeinheit angeboten. Für den EuGH ist dieser Aspekt allerdings nicht von Bedeutung, denn das
oben erwähnte Urteil vom 10.11.2022 stellt klar, dass eine Ausschreibungspflicht mit der Anwendung
des Vergaberechts nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU auch dann gegeben ist, wenn die
betreffende Dienstleistung gar nicht für einen bestimmten Beschaffungszweck des öffentlichen
Auftraggebers, sondern für die Allgemeinheit bestimmt sei.

Aufgrund dieser Rechtsprechung erfüllen daher auch die häufig verwendeten Pacht- oder
Gestattungsverträge über Flächen zur Realisierung von Wind- oder Solarenergieanlagen, die die
jeweiligen Investoren berechtigen, die Anlagen auf bestimmten kommunalen Flächen zu errichten
und zu betreiben, den Tatbestand einer Dienstleistungskonzession mit der Folge, dass diese Verträge
EU-weit ausgeschrieben werden müssen.

Dabei ist zu beachten, dass solche EU-weiten Ausschreibungen allerdings erst ab Erreichen
bestimmter Auftragswerte (Schwellenwert) erforderlich sind. Sowohl für die möglicherweise
einschlägige Baukonzession als auch die in jedem Fall einschlägige Dienstleistungskonzession liegt
der Schwellenwert derzeit bei 5.538.000,00 € (netto). Für die Dienstleistungskonzession ermittelt
sich die Höhe des Auftragswertes nach den Vorgaben des § 2 Abs. 3, 4 KonzVgV: Der Auftragswert
liegt demnach im voraussichtlichen Gesamtumsatz ohne Umsatzsteuer, den der Investor während
der gesamten Vertragslaufzeit als Gegenleistung erzielt (vgl. Vergabekammer Südbayern, BeckRS
2017, 124185). Dabei sind auch alle Zahlungen, Optionen, Gebühren und/oder Einnahmen, die der
Investor erzielt, zu berücksichtigen. Der voraussichtliche Umsatz kann praktischerweise anhand der
geschätzten Baukosten ermittelt werden, da es sich hierbei um die wesentlichen Investitionskosten
handelt, die der Investor durch die Erlangung entsprechender Gegenleistungen als künftige
Einnahme (zuzüglich eines kalkulierten Gewinns) für die Rentabilität des Projekts erhalten muss.

Für einen Investor oder kommunalen Amtsträger sollte der erste Prüfungsschritt daher immer darin
bestehen, ob der maßgebliche Schwellenwert erreicht wird, da unterhalb dieses Schwellenwertes
grundsätzlich die deutsche Rechtsprechung gilt und das strengere EU-Vergaberecht grundsätzlich
nicht zur Anwendung gelangt. Ausnahmen gelten zum Beispiel für grenznahe Projekte, die einen
grenzüberschreitenden EU-weiten Wettbewerb erwarten lassen.

Ansprechpartner in allen vergaberechtlichen Fragen ist unser Partner und Fachanwalt für
Vergaberecht Dr. Thomas Jahn mit Kanzleisitz in unserem Büro in München.
jahn@meidert-kollegen.de

2025-01-09T14:50:21+01:00 09.01.2025|